Der verlorene Kampf der Zentralbanken
Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) hat seit 17. März 2022 ein Lehrstück dafür geliefert, wie sich eine Notenbank, immerhin höchste Wächterin für das Währungs- und Finanzgeschehen einer Volkswirtschaft, nicht verhalten sollte. Politik, Wirtschaft und Bürgerschaft vertrauen auf die hohe Kompetenz und Verantwortung, die man einer Notenbank Kraft Amtes zugesteht.
Was aber passiert, wenn die US-Fed diesem Anspruch nicht gerecht wird, ja sogar gravierende Fehler macht?
Der legendäre und von August 1987 bis Januar 2006 langjährige Fed-Chef Alan Greenspan hatte seinen Nachfolgern ans Herz gelegt, mit dem Leitzins vorsichtig und behutsam umzugehen. Erhöhungsschritte sollten 0,25 % nicht übersteigen.
Warum diese Vorsicht?
Konsumenten, insbesondere Häuslebauer müssen ihre Investitionen durch Bank-Kredite finanzieren. Das gilt im Großen natürlich auch für Unternehmen und Banken, die ihre Investitionen und deren Finanzierung langfristig planen.
Wenn jetzt die US-Fed, wie seit März 2022 geschehen, nach vielen Jahren niedriger Zinsen, den Leitzins innerhalb von 12 Monaten von 0,25% achtmal bis auf 4,5% erhöht, dann liegt es auf der Hand, dass Unternehmen und Privatschuldner überfordert werden. Genau das passiert gerade. Und was sagt Fed-Chef Jerome Powell: dass der endgültige Leitzins "wahrscheinlich höher sein wird als bisher angenommen". Diese Aussage kommt einer Bankrotterklärung der Kompetenz der Fed gleich. In solch einer national und international bedeutenden Frage zur Höhe des Leitzinses zu bekennen, dass man sich wahrscheinlich geirrt habe, ist politisch eigentlich ein noGo. Was passiert? Noch eine Leitzinserhöhung? Also eine Fortsetzung dieses Amoklaufes?
Die US-Fed hat mit ihren aggressiven Erhöhungen der Leitzinsen die Märkte überfordert und die aktuelle Lage maßgeblich verschuldet. Es sind die gleichen Fehler, die zum Crash 2008 geführt haben. Ich denke, es ist auch auf diesem politischen Level zuviel Dummheit und Unwissenheit unterwegs. Die Globalisierung erfordert ein Systemdenken, das in der Lage ist weltweite komplexe Zusammenhänge zu erfassen, zu bewerten und in Nationen übergreifenden Kooperationen gemeinsam zu lösen. Dieser Aufgabe werden die USA mit ihrer unangemessenen Selbstüberschätzung offenbar nicht mehr gerecht.
Die US-Fed möge sich eine Unterrichtsstunde bei der BoJ buchen.
Die Desorientierung der Fed besteht in der untauglichen Vorstellung, die aktuellen Inflationsgründe mit den Instrumenten der Wendezeit vor 1990 bekämpfen zu müssen. Dabei läßt man sträflich die Gründe außer acht, die zur aktuellen Lage geführt haben bzw diese auslösten und noch immer wirksam sind:
- Produktionsausfälle durch die pandemie-bedingten Lockdowns mit der Folge der weitgehend zerstörten, in jahrelanger Arbeit optimierten internationalen Produktions- und Logistikabläufe
- Der Krieg Russlands gegen die Ukraine störte die Lebensmittelversorgung weiter Teile der Welt, dazu fiel die Ukraine als Lieferant für Bauteile in den Produktionsprozessen der westeuropäischen Hersteller weitgehend aus
- Die Nachbarländer der Ukraine müssen erhebliche zusätzliche Kosten aufwenden, um die Kriegsflüchtlinge zu versorgen.
- Sanktionen und Verknappungen in der Energieversorgung zwischen Europa und Russland führen bis heute zu volatilen und höheren Preisen für die Konsumenten.
Alle diese Gründe können ungestört weiter wirken, weil die US-Fed dieser Entwicklung offenbar keine Bedeutung beimessen und mit nicht zielführenden Leitzinserhöhungen die Gesamtlage verschlimmern. Es besteht deshalb die Gefahr einer Rezession in den USA und Europa.
Das falsche Narrativ der Fed: Die US-Notenbank glaubt, dass die US-Wirtschaft auf einen höheren Leitzins mit einer Rücknahme der Investitionstätigkeit reagiere. Dies würde die wirtschaftliche Tätigkeit verlangsamen, die Beschäftigung verringern und die Nachfrage der Konsumenten zurückführen. Damit gingen auch die Preise wieder zurück. Umgekehrt könne man eine Rezession dadurch überwinden, dass man das Zinsniveau zurückfährt. Unternehmen würden dann wieder verstärkt investieren.
Dies war in relativ homogenen, d.h. nach aussen weitgehend abgeschotteten, Volkswirtschaften richtig. Mit dem Ende des kalten Krieges haben wir einen verstärkten Handel zwischen der einst zweigeteilten Welt. Insbesondere für die Unternehmen der westlichen Volkswirtschaften wirkte sich dies wie ein Startschuss zur expansiven Globalisierung aus. Die Investitionsentscheidungen der Unternehmen hängen seitdem nicht mehr von mehr oder weniger günstigen Finanzierungsbedingungen, sondern von den Absatz- und Gewinnmöglichkeiten in internationalen Märkten ab. Dabei spielt die Perspektive für Investitionen zur Beständigkeit und Verläßlichkeit der Rahmenbedingungen die zweitwichtigste Rolle. Ob ein Elon Musk in Deutschland in Kapazitäten für ein neues Tesla-Werk investiert, hängt also nicht davon ab, ob die EZB-Leitzinsen hoch oder niedrig sind, sondern von der Nähe des Kundenmarktes, der Kaufkraft im Kundenmarkt, der Qualität der Arbeitnehmer und den politisch stabilen Rahmenbedingungen ab.
Diese Zusammenhänge hat die BoJ schon seit vielen Jahren erkannt.
Ein Kommentar von Dipl.Betriebswirt Rainer Willing